Radio "Grüne Welle" vom 01.07.99


Themen der Sendung vom 01.07.99 Schallwellen

MitarbeiterInnen der Sendung:
Georg (G), Brigitte (B), Ralf (Ra), Ilona (I) sowie Hardy in der Technik

AutorIn: a , SprecherIn: s


Die "Neue Bahn"

Die Bahn kommt - hoffentlich puenktlich und in Zukunft haeufiger als jetzt. Nachdem in den letzten Jahren die Deutsche Bahn AG immer mehr Verbindungen gestrichen hat und der Schwerpunkt auf den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken gelegt wurde, zeigt sich nun deutlicher als zuvor die Notwendigkeit eines neuen Bahnkonzeptes, das die Bezeichnung "Unternehmen Zukunft" rechtfertigt, das Konzept der "Flaechenbahn".

Die Idee an sich ist eigentlich nicht neu, koennte aber zur Zeit neuen Auftrieb erhalten. Unterstuetzt wird sie von einer Studie, die im Wuppertal Institut fuer Klima, Energie und Umwelt von der Arbeitsgruppe des Verkehrswissenschaftlers Karl Otto Schallaboeck angefertigt wurde.

Schallaboeck ist der Ansicht, dass bis zum Jahre 2020 die oeffentlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn die gleiche Transportleistung erbringen sollten und koennten, wie der motorisierte Individualverkehr. Zur Zeit liegt das Verhaeltnis bei eins zu fuenf.

Durch kundennahe Angebote von privaten Eisenbahngesellschaften hat sich in manchen Regionen schon jetzt die Zahl der Fahrgaeste in kuerzester Zeit verdoppelt und verdreifacht. Doch ein wirksames Konzept sollte systematisch bundesweit eingefuehrt werden.

"Flaechenbahn" bedeutet, nicht nur Hochgeschwindigkeitsstrecken und Hauptbahnhoefe auszubauen, sondern das Bundesgebiet grossflaechig zu erschliessen. Auf 2/3 der Flaeche des Bundesgebietes leben ca. 95% aller Buerger, wenn diese ins Bahnnetz eingebunden wuerden, entstuende ein fast flaechendeckendes Bahnangebot.

Davon ist die Bahn heute weit entfernt. Nach 1945 wurden 30 % des Schienennetzes und 43 % der Bahnhoefe stillgelegt. Damit die Rueckkehr zur Flaeche finanzierbar ist, schlaegt das "Neue Bahn"-Konzept eine kostenguenstige Strategie vor:
Es sollen keine Strecken mehr stillgelegt werden, noch vorhandene, stillgelegte Strecken werden reaktiviert, vorhandene Trassen werden wieder mit Gleisen belegt, in der Flaeche werden Haltepunkte neu gebaut oder verlegt und der Neubau von 10 -20.000 km Trassen ist zwar notwendig, kann sich aber ueber Jahrzehnte erstrecken.

Schallaboeck schlaegt in Zukunft neben den Hauptstrecken fuer den deutschen und transeuropaeischen Gueterverkehr nur noch drei Strecken- und Zugarten vor: den Hochgeschwindigkeitsverkehr zwischen den Metropolen, den schnellen Regional- und Interregionalverkehr, der die Grossstaedte miteinander verknuepft und eine unterste Stufe, die entscheidend fuer die Auslastung und Nutzung des Gesamtnetzes ist. Diese letzte Stufe beinhaltet in Ballungszentren die S-Bahn, die Vororte und die umliegende Region erschliesst und auf dem Land die Flaechenbahn, die von Interregio-Halten aus Kleinstaedte und Gemeinden im Umland anlaeuft. Schon ein Ort mit 4000 Einwohner lohnt den Anschluss ans Gleis, wie Forscher errechnet haben. Diese Strukturen gehen auch mit einer Vereinfachung fuer den Kunden, insbesondere in den Tarifen, einher.

Fuer den Betrieb der "Flaechenbahn" werden dann neue Fahrzeuge benoetigt, deren Kapazitaet sich flexibel an die je nach Tageszeit unterschiedliche Nachfrage anpassen laesst. Denkbar waeren leichte, automatisch koppelbare verbrauchsarme und abgasgereinigte Diesel-Schienenbusse. Herkoemmliche Nahverkehrszuege fuer 250 Passagiere sind zu schwer.

[Musik]

Was sieht das Konzept der "Flaechenbahn" weiterhin vor ?

Ein zentrales Element der "Flaechenbahn" ist der Halbstundentakt: Alle halbe Stunde faehrt ein Zug, zu festen Zeiten, die sich jeder merken kann. In Ballungsgebieten soll die S-Bahn alle zehn oder fuenf Minuten fahren. Zunaechst koennte der Takt in Teilgebieten eingefuehrt werden, die im naechsten Schritt miteinander verknuepft werden. Fuer Sachsen-Anhalt Sued wurde - aufbauend auf einem Konzept des Wuppertal Instituts ein solches Prinzip schon beschlossen.

Die Vorteile einer bundesweit integrierten Vertaktung sind passende Anschlusszuege. Puenktlichkeit und ein passender Anschluss sind entscheidend fuer die Reisezeit, nicht die Hoechstgeschwindigkeit. Billiger und effizienter als der Bau von Rennstrecken ist es, die Totzeiten zu reduzieren. Auch mit Tempolimit 200 bringt man es leicht auf ICE-Reisegeschwindigkeiten, z.B. indem man durch Praezisionshalte das Ein- und Aussteigen beschleunigt, wie in Japan laengst ueblich. Dort kommen die Tueren immer exakt an einer auf dem Bahnsteig markierten Stelle zum Halten und kein Fahrgast muss mit dem Gepaeck der Zugtuer nachrennen. Und keiner steht fuer Karten an, die kauft man im Zug.

Es gibt etliche solcher relativ billigen Moeglichkeiten, die mehr Zeit sparen als man durch teuer erkaufte Hoechstgeschwindigkeit gewinnen kann.

Eine Verdopplung der heutigen Investitionen und deren Umlenkung in die Flaechenbahn koennte die Transportleistung der Schiene vervierfachen und jaehrlich 85 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen, die sonst das Klima aufheizen wuerden.

Auch fuer die Arbeitsplaetze der Eisenbahner haette das "Neue Bahn" - Konzept eine positive Wirkung. Zur Zeit sind rund 60 -100.000 Stellen bei der Deutschen Bahn AG bedroht. Eine Verkehrswende hingegen koennte 200.000 zusaetzliche Jobs in Deutschland schaffen, wie der VCD und das Oeko-Institut Freiburg errechnet haben.

Also, allerhoechste Eisenbahn fuer eine "Neue Bahn", jetzt muss die Notbremse bei der Stillegung von Strecken gezogen werden und die Weichen fuer ein wirkliches "Unternehmen Zukunft" gestellt werden. Denn sonst ist der Zug irgendwann abgefahren...


Unfall bei Bayer-Wuppertal

Inzwischen liegt der Bayer-Unfall schon wieder 3 Wochen zurueck. Die Gemueter haben sich beruhigt, es gab etwa 100 Verletzte und einen Sachschaden in Millionenhoehe. Angesichts der moeglichen Gefahren eines so grossen Chemiekonzerns im Herzen Wuppertals, ein verhaeltnismaessig geringer Schaden. Wir haben Glueck gehabt, denn eine Explosion bei Bayer haette in eine Katastrophe enden koennen.

Allerdings besteht leider kein Grund dieses Ereignis erleichert abzuhaken und zu vergessen, denn der Unfall hat gezeigt, dass die Informationspolitik von Bayer fragwuerdig und die Stadt Wuppertal auf eine Katastrophe nicht vorbereitet ist.

Es wurden zwar keine hochgiftigen Stoffe gemessen, aber erstaunlich ist, dass der Bayersprecher Bahnmueller schon am Ungluecksabend Entwarnung gab und empfahl sowohl Kinder draussen spielen zu lassen, als auch unbesorgt Obst und Gemuese aus dem Garten zu essen, obwohl das Messen von Dioxin mind. 2 Tage benoetigt, also die Ergebnisse noch nicht bekannt waren.

Merkwuerdig ist auch, dass Bayer zuerst als einen Brandstoff das neue Pflanzenschutzmittel Teldor bekannt gab, das zur Zeit noch in der Patentierungsphase ist. Eine Woche spaeter stellt sich heraus, dass es eine Verwechslung war und Aetzkali, also Kaliumhydroxid in den falschen Kessel geschuettet wurde. Warum wurde die Verwechslung erst so spaet bekannt?

Obwohl nicht bekannt war, wie die Explosion entstanden ist und vor allem welche Stoffe in der Luft waren und in der Rauchwolke Richtung Elberfeld und Barmen zogen, waren die Massnahmen von Bayer und der Stadt Wuppertal fahrlaessig, denn Warnungen ueber moegliche Gefaehrdungen erfolgten etwa eine Stunde zu spaet. Handwerker, Einsatzkraefte von Polizei und Feuerwehr arbeiteten zum Groessten teil ohne Atemschutz. Der lokale Fernseh- und Radiosender WDR erhielt die Informationen fast eine halbe Stunde spaeter, die einkaufenden Menschen in Elberfeld und Barmen wurden gar nicht gewarnt.

Der Unfall zeigt, dass es in Wuppertal keinen umfassenden Katastrophenschutz gibt. Dies kritisierte auch Herr Beyer vom Umweltderzenat der Stadt auf einer Informationsveranstaltung. Der Informationsfluss von Bayer war zu langsam, die direkten Warnungen ueber die Medien und ueber Lautsprecher an die Bevoelkerung kamen viel zu spaet oder gar nicht, die Koordination zwischen Bayer, Feuerwehr, Polizei und Medien war mangelhaft. Im Falle eines Unfalls mit hochgiftigen Stoffen eine Katastrophe!

Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen ihre Lektion gelernt haben und einen Katastrophenschutz planen, der Menschenleben wirklich retten kann. Dazu gehoeren u.a. ein schneller, offener Informationsfluss, eine reibungslose Koordination zwischen Polizei, Feuerwehr und Medien und darueberhinaus - fuer den schlimmsten Fall - zuegige Evakuierungsmassnahmen.