Radio "Grüne Welle" vom 06.02.03


Themen der Sendung vom 06.02.03 Schallwellen

MitarbeiterInnen der Sendung:
Claudia (Cl), Olaf (O), Ralf (Ra) sowie Hardy in der Technik
Moderation: O

AutorIn: a , SprecherIn: s


Indianerrede

Im Jahre 1856 konfrontierte Franklin Pierce, der 14. Präsident der Vereinigten Staaten, die Duwamish-Indianern mit einem Angebot, das die Indianer befremdete und zugleich aber unmißverständlich bedrohte: Der Weiße Mann wollte ihr Land kaufen und ihnen selbst ein Reservat zuweisen. Auf dieses Angebot antwortete der Duwamish-Häuptling mit einer denkwürdigen Rede, die einer wunderbaren, großen, aber fast vergessenen Kultur eine Stimme verleiht und deren Bedeutung bis in unsere Zeit reicht. Diese Rede, aus dem Amerikanischen übersetzt, soll im weiteren dargestellt werden. Es sei zuletzt bemerkt, daß die Indianer freilich der Bedrohung durch den Weißen Mann nicht gewachsen waren; sie verloren ihre Heimat und siedelten sich später in einem Reservat an der Ostküste an.

Chief Seattle: Message to the Modern World
Häuptling Seattle: Botschaft an die Moderne Welt
(übersetzt v. Olaf Lenz, Jan. 2003)

Der große Häuptling in Washington sendet uns mit seinen Worten, daß er unser Land kaufen will. Der große Häuptling sendet uns außerdem Worte der Freundschaft und des guten Willens. Das ist nett von ihm, besonders seit wir wissen, daß er im Gegenzug unserer Freundschaft nicht bedarf. Dennoch werden wir sein Angebot überdenken, denn wir wissen: Wenn wir ihm nicht zustimmen, könnte der weiße Mann mit Waffen kommen und unser Land gewaltsam einnehmen.

Doch wie könnt ihr den Himmel kaufen oder verkaufen - wie die Wärme der Erde? Eine solche Idee ist uns fremd. Wir selbst besitzen weder die Frische der Luft noch das Glitzern des Wassers. Wie könntet ihr sie dann von uns kaufen? Jeder Teil der Erde ist meinem Volk heilig; jede glänzende Tannennadel, jede sandige Küste, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jedes tanzende, summende Insekt ist im Gedächtnis und in der Erfahrung meines Volkes heilig.

Wir wissen, daß der weiße Mann unser Wesen nicht versteht. Ein Teil der Erde ist für ihn das gleiche wie der nächste; er ist ein Fremder, der in der Nacht kommt, um von dem Land zu nehmen, was immer er braucht. Die Erde, sie ist ihm nicht ein Bruder, sie ist ihm Feind, und wenn er sie erobert hat, geht er weiter. Sein Hunger wird die Erde verschlingen und nichts zurücklassen, außer einer toten Wüste. Der Anblick eurer Städte dringt wie ein Schmerz in die Augen des Roten Mannes. - Aber vielleicht ist der Rote Mann einfach ein "Wilder", der nicht versteht.

Wenn ich mich dazu entscheide, euer Angebot zu akzeptieren, werde ich eine Bedingung stellen. Der Weiße Mann muß die Kreaturen dieses Landes wie seine Brüder behandeln. Was ist der Mensch ohne die Kreatur? Wenn all die wilden Tiere weg sind, würde der Mensch an großer Einsamkeit des Geistes sterben, denn was diesen Wesen geschieht, wird auch mit dem Menschen geschehen.

Eine Sache - das wissen wir - wird der Weiße Mann eines Tages erkennen: Unser Gott ist dem euren gleich. Ihr mögt glauben, daß ihr IHN besitzt, so wir ihr unser Land besitzen wollt. Aber das ist unmöglich! Er ist der Gott der Menschen. Und sein Mitgefühl gilt dem Roten genauso wie dem Weißen Mann. So wie IHM auch die Erde wertvoll ist. - Und diese Erde zu verletzen heißt, bei ihrem Schöpfer in große Ungnade zu fallen.

Auch die Weiße werden vergehen - vielleicht sogar früher als andere Stämme. Macht ihr so weiter, eure eigenen Betten zu verschmutzen, dann werdet ihr eines Nachts in eurem eigenen Müll ersticken. Sind erst alle Büffel geschlachtet, all die weißen Pferde gezähmt, die Heiligkeit jedes geheimen Ortes im Wald durch den Geruch des Menschen entweiht und der Blick auf die erhabenen Hügel des Landes durch Masten und Telefonleitungen zerstückelt, - wo bleibt dann die Wildnis? Wo bleibt dann der Adler? Das ist das Ende des Lebens und der Anfang des Todes.

In den Städten des Weißen Mannes gibt es keinen ruhigen Platz. Keinen Platz, dem Wispern der Blätter im Frühling, keinen Platz, dem Flügelschlag des Schmetterlings zu lauschen. Aber vielleicht bin ich ja nur ein "Wilder", der nicht versteht, - dem der Stadtlärm das Gehör zu versperren scheint. Aber was kann das Leben wert sein, wenn man nicht den wunderbaren Schrei der Eule, das nächtliche Gespräch der Frösche um einen Teich hören kann? Der Indianer mag selbst den sanften Klang des Windes, gereinigt durch einen mittäglichen Regenschauer oder geschwängert durch den Duft von Tannennadeln. Die Luft ist dem Roten Mann unschätzbar wertvoll, teilen doch alle Lebewesen den gleichen Atem - die Tiere, die Bäume, die Menschen. Den Weißen Mann scheint ähnliches nicht zu berühren. Wie ein langsam Sterbender ist er taub und blind für die Welt.

Es könnte sein, daß wir euch verstehen würden, wenn wir wüßten, welche Träume der Weiße Mann hat, welche Hoffnungen er in langen Winternächten an seine Kinder heranträgt, welche Visionen er ihnen gleichsam ins Bewußtsein brennt, damit sie sich solches für morgen wünschen. Aber wir, wir sind nur "Wilde"; die Träume des Weißen Mannes sind uns verborgen. Und weil das so ist, werden wie unseren eigenen Weg gehen.

Wenn wir also auf das Angebot des Häuptlings von Washington eingehen, wird uns - wie er sagte - ein Reservat bleiben. Dort können wir unsere letzten Tage leben - so wie wir wünschen. Und wenn der letzte Rote Mann von der Erde verblichen ist und als Erinnerung nur ein Schatten einer Wolke bleibt, die über die Prärie zieht, wird in diesen Küsten und Wäldern der Geist meines Volkes fortleben. Denn sie liebten die Erde wie ein Neugeborenes den Herzschlag seiner Mutter. Wenn wir unser Land an euch verkaufen, liebt es, wie wir es liebten, sorgt für es, wie wir dafür sorgten. Behaltet es so in eurem Gedächtnis, wie es ist, wenn ihr es von uns übernehmt, und - mit all eurer Stärke, mit all eurer Macht und mit eurem ganzen Herzen - bewahrt es für eure Kinder und liebt es, wie Gott uns alle liebt.

Eines ist uns gewiß: Wir und ihr haben den gleichen Gott. Die Erde ist für IHN unschätzbar wertvoll. Auch der Weiße Mann kann dem großen, gemeinsamen Schicksal nicht entkommen.